Korrelation zwischen Parodontitis und Diabetes
Diabetes reiht sich zu den häufigsten Volkskrankheiten Deutschlands. Mehr als sechs Millionen Patienten leiden offiziell an der Stoffwechselerkrankung. Die Dunkelziffer wird jedoch noch deutlich höher geschätzt. Neben den aktuellen Statistiken geben aber auch die jüngsten Prognosen Anlass zur Besorgnis. Nach Angaben der Vereinten Nationen sollen die Erkrankungen weltweit bis 2024 um rund 50 Prozent zunehmen. Aus 415 Millionen werden demzufolge 642 Millionen Fälle. Nicht ohne Grund gehen die Vereinten Nationen von der ersten ohne Infektion verursachten Erkrankung aus, die sich zu einer globalen Gefahr für die Menschheit entwickeln könnte.
Neben gesundheitlichen bringt die Stoffwechselerkrankung auch erhebliche finanzielle Schäden mit sich. Rund 35 Millionen Euro fallen pro Jahr für Behandlung, Pflege, Arbeitsunfähigkeit und Frührente an. Schließlich ist die Autoimmunreaktion Auslöser zahlreicher ernstzunehmender Folgeerkrankungen wie Herz- und Gefäßbeschwerden, Amputationen, Neuerblindungen und Niereninsuffizienzen. Für drei Viertel aller Patienten endet die Stoffwechselkrankheit mit einem tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Der Mediziner unterscheidet zwei verschiedene Ausprägungen: Typ 1 und Typ 2. Bei Typ 1 kann die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr herstellen. Der Patient muss seinem Körper das fehlende Insulin ein Leben lang selbst zuführen. Bei Typ 2 hingegen produziert der Körper Insulin zwar aus eigener Kraft, seine Wirkung hält sich aber in Grenzen. Die Bauchspeicheldrüse versucht, den Mangel mit einer Überproduktion von Insulin auszugleichen. Auf Dauer hält sie der Anstrengung jedoch nicht stand. Entweder sie produziert weniger Insulin oder bringt die Herstellung zum Stillstand.
Anders als Typ 1 wird Typ 2 stark vom persönlichen Lebensstil geprägt. Mit reichlich Bewegung, einer ausgewogenen Ernährung und Normalgewicht sinkt das Riskio für Typ 2 oder die Schwere der Erkrankung lässt nach, sodass der Betroffene nicht länger auf Medikamente angewiesen ist.
Diabetes und Parodontitis sind eng miteinander verbunden. Nicht zuletzt wegen ihrer vielen Gemeinsamkeiten wie dem chronischen Verlauf, den destruktiven Veränderungen und der eingeschränkten Lebensqualität des Betroffenen. Im vergangenen Jahrzehnt wurde sogar eine starke Wechselwirkung zwischen den beiden Erkrankungen nachgewiesen.
Perio & Diabetes animation
Wie wirkt sich Diabetes auf Parodontitis aus?
Diabetes ist durch eine chronische Hyperglykämie (krankhaft vermehrter Zucker im Blut) gekennzeichnet, die durch die gestörte Insulinausschüttung und/oder -wirkung hervorgerufen wird. Insulin brauchen wir für Stoffwechselprozesse. Wenn seine Ausschüttung/Wirkung gestört ist, fördert das die Entstehung sogenannter AGE (advanced glycation endproducts = Endprodukte der fortgeschrittenen Glykation). AGE binden sich oft an Zelloberflächenrezeptoren (RAGE) und lösen dort Entzündungen aus.
AGEs (Advanced Glycation Endproducts) sind Abfallprodukte, die vorwiegend durch die Kombination von Eiweiß und Zucker entstehen. Besonders viele davon entstehen beispielsweise beim Erhitzen der Nahrung über 120° (Thema also für alle Brat- und Grillfreunde!). Diese AGEs können über die Nieren nur teilweise verstoffwechselt werden, der Rest wird im Körper eingelagert und kann auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen führen.
Im Parodont und in der Gingiva von Diabetikern sind AGE vermehrt nachweisbar. Nach der vorliegenden Studienlage erhöht Diabetes das Risiko einer Parodontitis um den Faktor 3. Zudem schreitet beim Vorliegen eines Diabetes die Parodontitis schneller fort, während der Zahnhalteapparat der Diabetiker gleichzeitig schlechter auf die Parodontitisbehandlung reagiert. Das erklärt den schwereren parodontalen Krankheitsverlauf beim Vorliegen eines Diabetes. Die Parodontitis ist damit auch eine diabetische Komplikation. Es gibt aber auch den umgekehrten Zusammenhang, womit die Korrelation zwischen Diabetes und Parodontitis bewiesen ist. Eine parodontale Erkrankung erhöht den Blutzuckerspiegel durch einen gesteigerten HbA1c-Wert im entzündeten parodontalen Gewebe. Die Entzündungsmoleküle im kranken Zahnhalteapparat verringern die Wirkung von Insulin. Das hat auf drei Risikogruppen folgende Effekte:
- Nicht-Diabetiker können sich bei einer bestimmten Disposition (erbliche Veranlagung) schneller zu Prä-Diabetikern entwickeln.
- Prä-Diabetiker werden eher zu Diabetikern.
- Gut eingestellte Diabetiker werden zu Diabetikern mit einer unzureichenden Blutzuckereinstellung.
Schwere Parodontitiden erschweren die Einstellung der Blutzuckerwerte. Bei einer vorliegenden Parodontitis ist außerdem bei entsprechender Veranlagung die schnellere Entwicklung zum Diabetiker zu erwarten. Nicht zuletzt werden sich diabetische Komplikationen verstärken.
Bei Diabetikern ist das Risiko, an einer Parodontitis zu erkranken bis zu dreieinhalb Mal höher als bei gesunden Menschen. Hintergrund ist ein veränderter Zuckerstoffwechsel, der sich nachhaltig auf die Mundgesundheit auswirken kann. Ein Insulinmangel begünstigt die Entstehung von Ablagerungen an den Kapillargefäßen. Diese wiederum können die Gefäßwände beschädigen und damit die Durchblutung behindern. Weniger Sauerstoff und Nährstoffe wandern durch das Zahnfleisch, sodass die natürlichen Abwehrkräfte schwinden. Da der Schutzmechanismus des Körpers geschwächt ist, dringen Bakterien ungehindert in die Mundhöhle vor, vermehren sich und rufen langfristig chronische Entzündungen an den Zahnhalteapparaten hervor.
Als weiterer Risikofaktor entpuppt sich der verminderte Speichelfluss. Diabetiker produzieren weniger Speichel oder leiden an Mundtrockenheit. Zurückzuführen ist das Symptom auf die Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Wird der natürliche Speichelfluss gestört, ist der Zahnschmelz aggressiven Bakterien stärker ausgeliefert. Das Parodontitisrisiko steigt. Unbehandelt führt die Parodontitis bei Betroffenen schnell zum Zahnverlust. Die Bakterien dringen tief in Gewebe und Knochen vor, nisten sich ein und schwächen nachhaltig den Zahnhalteapparat. Der angeschlagene Zahn lockert sich und fällt aus. Bewusst sind sich dieser Gefahr aber nur die wenigsten. Nur ein Drittel aller Patienten versteht chronische Entzündungen im Mundraum und Zahnverlust als Folgen seiner Stoffwechselerkrankung.
Auswirkungen auf die Herzgesundheit
Studiendaten belegen, dass Diabetiker mit einer schweren parodontalen Erkrankung häufiger von Diabetes-Komplikationen betroffen sind als eine Kontrollgruppe, die nur an einer Gingivitis erkrankt war. Diese Komplikationen wirken sich verheerend auf die Herzgesundheit aus:
- Die Sterblichkeit von Diabetikern mit einem schwer beschädigten parodontalen Apparat steigt aufgrund von ischämischen Herzkrankheiten um den Faktor 2,3.
- Das Risiko einer diabetischen Nephropathie (progressive Nierenerkrankung) steigt bei den Betroffenen um den Faktor 8,5.
- Parodontalerkrankungen sind im selben Ausmaß für koronare Herzkrankheiten verantwortlich wie diabetische Grunderkrankungen, Hypertonie, Übergewicht, Hyperlipidämie und fortgeschrittenes Alter.
Eine Parodontalerkrankung kann den Diabetes mellitus direkt auslösen. Parodontal erkrankte Patienten entwickeln ihn wesentlich häufiger als parodontal gesunde Individuen.
Verbesserung der glykämischen Einstellung durch die parodontale Behandlung
Die glykämische Einstellung (Einstellung des Blutzuckerspiegels) verbessert sich nachweislich durch die effektive Behandlung von parodontalen Infektionen. Damit verbessert sich der Diabetesstatus. Die effektive parodontale Behandlung senkt den Blutzuckerwert. Auch die nicht-chirurgische Parodontitistherapie wirkt sich positiv auf die Insulinresistenz von Typ-2-Diabetikern aus. Sie senkt den oben zitierten HbA1c-Ausgangswert, was wiederum zu einem sinkenden Blutzuckerwert führt.
Interdisziplinärer Therapieansatz bei parodontalen Erkrankungen von Diabetikern
Die parodontale und die diabetische Erkrankung sind systemisch, beeinflussen sich gegenseitig und überschreiten Sektor-, Organ- und Fachgrenzen. Aus diesem Grund ist ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, um Diabetiker mit einer parodontalen Erkrankung zu behandeln. Die Zahnmedizin und die Diabetologie müssen in solchen Fällen eng zusammenwirken. Zahnärzte sind gefordert, die betroffenen Risikopatienten rechtzeitig zu erfassen. Diabetologen sollten diese auf die Notwendigkeit von regelmäßigen zahnärztlichen Untersuchungen hinweisen. Der Zahnmediziner kann an oralen Anzeichen durchaus die Symptome einer diabetischen Erkrankung identifizieren. Auch die anamnestische Abfrage lässt sich dementsprechend erweitern, empfohlen werden standardisierte Fragebögen. Außerdem kann natürlich auch ein Zahnarzt, der beim Patienten eine schwere und rezidivierende (wiederkehrende) Parodontitis feststellt, einen Blutzuckertest durchführen. Sollte dieser erhöhte Blutzuckerwerte belegen, überweist der Zahnmediziner den Patienten umgehend zum Diabetologen bzw. fordert ihn auf, seinen Hausarzt über den Befund zu informieren. Es geht darum, bei einer noch nicht diagnostizierten diabetischen Erkrankung schnellstmöglich den Blutzucker optimal einzustellen. Das vermeidet einen schwereren Diabetesverlauf, schließt meistens Folgekrankheiten aus und führt zum erfolgreichen Abschluss der Parodontitistherapie. Umgekehrt überweisen Allgemeinmediziner oder Diabetologen ihre Patienten an den Zahnarzt, um eine parodontale Symptomatik abklären zu lassen. Der Zahnmediziner wird dann einen parodontalen Komplettbefund erheben und bei entsprechender Indikation die systematische Parodontaltherapie einleiten. Diese erfolgt interdisziplinär abgestimmt auf die Stoffwechseltherapie. Die Kooperation zwischen dem Diabetologen und dem Zahnmediziner ist in solchen Fällen unerlässlich.
Wie wirkt sich Diabetes auf die Behandlung von Parodontitis aus?
Ein Diabetiker mit einem noch schlecht eingestellten Blutzuckerwert kann leider nicht mit einem schnellen Erfolg der parodontalen Behandlung rechnen. Das ergibt sich aus den oben dargestellten Zusammenhängen. Solange die AGE weiter im Zahnhalteapparat Entzündungen auslösen, kann dieser nicht dauerhaft gesunden. Umgekehrt beeinträchtigt der durch die Parodontalerkrankung gesteigerte HbA1c-Wert immer wieder den Blutzuckerspiegel. Die Diabetes- und Parodontaltherapie müssen daher zeitlich aufeinander abgestimmt erfolgen, um eine allmähliche Verbesserung zu erreichen.
Fazit: Intensive Kontrolle der Zahngesundheit von Diabetikern unerlässlich
Diabetiker sollten ihre Zahngesundheit insbesondere im Hinblick auf parodontale Erkrankungen strikt kontrollieren lassen. Menschen mit einer erblichen Veranlagung zur diabetischen Erkrankung sind ebenso angesprochen. Die Korrelation zwischen den beiden Erkrankungen kann verheerende Folgen haben – schlimmstenfalls endet sie mit einem Herzinfarkt tödlich.
Eine chronische Entzündung der Zahnfleischtaschen macht die Zellen resistenter gegen Insulin, verschlechtert den Blutzuckerwert und erschwert Patienten die Einstellung ihrer Medikation zur Stabilisierung ihrer Blutwerte. Umso wichtiger ist es für Gefährdete, eine Parodontitis umgehend behandeln zu lassen. Je früher, desto besser. Bereits bei den ersten Anzeichen wie Zahnfleischbluten, Rötungen und Schwellungen sowie Mundgeruch empfiehlt sich der Gang zum Zahnarzt.